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Kernfusionsreaktor ITER: teurer Sonnenofen

das erste Plasma soll 2025 erzeugt werden

Seit rd. 60 Jahren träumen Forscher von der Stromerzeugung aus Fusionsenergie. Dabei wird Brennstoff durch eine kontrollierte Fusion der Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium auf 100 Mio. Grad mit Hilfe von Strom aufgeheizt. Es entsteht extrem heisses Plasma wie auf der Sonne. Dieses Plasma soll im Innneren des Fusionsreaktors innerhalb eines supraleitenden Magnetfeldes, welches die Außenwand nicht berührt, so verdichtet werden, dass eine Kernufsion durch Verschmelzung der Atome eintritt. Ziel ist es,  das man die zehnfache der ursprünglich aufgewendeten Heizlistung für die Erzeugung der Fusionsenergie mit Hilfe eines Fusionsrektors über einige Minuten aufrecht erhalten kann.

Eine solche Testanlage mit dem Namen ITER ( steht für International Thermonuclear Experimental Reactor) wurde jetzt im südfranzösischem Cadarache im Beisein des französischen Präsidenten Emmanuel Macron fortgesetzt. An der Anlage wird schon seit 2010 gebaut. Sie soll 2025 den Betrieb aufnehmen.   

Im Gegensatz zu einem konventionellen Atomkraftwerk benötigt ein Fusionskraftwerk kein Uran. Es fallen insofern auch keine über Jahrhunderte strahlende Brennstäbe an, die entgelagert werden müssen. Denn als Betriebsmittel wird Wasserstoff verwendet. Das macht die Sache zwar unglaublich teuer, aber es kann zu keinem Super-GAU kommen. Denn bei einer Störung bricht die Verdichtung des heißen Plasmas zusammen und der Prozess der Kernfusion endet. Anders als die Strahlung bei einem Uran-betriebenen Reaktor kann die Fusion der Wasserstoffatome im Fusionsreaktor sich nicht selbst unkontrolliert fortsetzen. Das könnte die Energie-versorgungsprobleme  der Zukunft ein für alle mal lösen.

Theoretisch zumindestens. Und unsere wertvollen Energieträger Kohle und Öl bräuchten wir dann nicht mehr zur Verbrennung ver-brauchen, sondern könnten diese für die Gewinnung langlebiger Produkte nutzen. (z. B. für die Herstellung von Carbonfaserver-bundstoffen für die Herstelllung von leichten und bruchsicheren Autos der Zukunft.)    

Blick von oben auf das 20.000 Quadratmeter große ITER-Testgelände mit Kontroll-und Verwaltungszentrum in Cadarache, Frankreich, Foto: iterorganization, youtube

der grösste Fusionsreaktor der Welt

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Allerdings wird das Wiederauferstehen der Kerntechnologie nur möglich sein, wenn der Staat abermals Mrd. von EUR als Anschubfinan-zierung gewährt und die Bevölkerung ihre ablehnende Haltung aufgibt sowie ferner bereit ist, die Kosten zu tragen. Denn durch die Kata-strophen wie in Tschernobyl und Fukushima hat die Atomkraft zumindestens in Deutschland ihre Glaubwürdigkeit verspielt. Die gefahrlosere Kernfusionstechnik könnte dazu beitragen, dass sich das in Zukunft wieder ändert.  

Blick in das Innere des im Bau befindlichen Fusionsreaktors, Foto: iterorganization, youtube

Und die Kosten sind ein echtes Problem. Die für den französischen Versuchsreaktor ITER ursprünglich angepeilten 5 Mrd. EUR sind mittlerweile auf rd. 20 Mrd. EUR angestieg-en. Und der Bau ist noch nicht abgeschloss en. Außerdem muss noch längere Zeit unt-ersucht werden, wie die Stähle die Neutron-enbelastung aushalten und wie sich die Stabilität des Plasmas verhält, wenn man den Druck erhöht. Es soll im Ernstfall ja nichts auseinanderfliegen.

Im Versuchsstadium will man zunächst nur mit Wasserstoff und Helium experiment-ieren. Dabei entsteht noch keine Fusions-reaktion. Erst wenn man ab 2030 die Experimente mit Tritium fortsetzt, kann man die Selbstheizung des Plasmas nach-weisen. Damit hätte man dann nach Aus-sagen von Prof. Dr. Hartmut Zohm vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik be-wiesen, dass sich Energie durch Fusion in kontrollierter Weise und im Überschuss produzieren lässt.

Einbau eines Blanket-Aussenmantels. In diesem Blanket-Ring wird später das Plasma so eingeschlossen, dass es die Außenwand nicht berührt. Ähnlich wie bei der Vakuum-Technik. Ansonsten würde das Plasma sofort auskühlen und die Reaktion würde zusammenbrechen. Foto: iterorganization, youtube
Apparatur zur Erzeugung von Helium im ITER-Fusionsreaktor. Foto: iterorganization-Youtube-Demo

Erst wenn diese Testreihen erfolgreich abgeschlossen sind, kann man einen Nachfolgereaktor bauen, der dann ab 2050 in den Regelbetrieb übergehen soll. Sein Name steht auch schon fest: DEMO. Dann sollen 500 MW-Fusionsleistung erzeugt werden.

An dem ITER-Projekt arbeiten die Europäische Union, Deutschland, China, Indien, Japan, Korea, Amerika und Russland Hand in Hand zusammen. Auch in Deutschland wird das Verhalten von heißem Plasma erforscht. Unter dem Projektnamen Wendelstein 7-X  wurde bereits vor Jahren ein sog. Stellerator in Greifswald errichtet. Anders als bei dem ITER-Fusionsreaktor, wo Strom durch das Plasma geleitet wird, der ein Magnetfeld erzeugt und im Zusammenspiel mit einem weiteren Feld das Plasma einschließt, fließt beim Stellerator kein Strom durch das Plasma. Das einschließende Magnetfeld wird vielmehr von komplex ver-wundenen Spulen erzeugt.  

und was sagen die Kritiker ?

1. Die Kosten sind zu hoch

Seit rd. 60 Jahren würde man viel Geld in eine Technik stecken, die immer wieder von zahlreichen Rückschlägen geprägt sei. Bisher hätte das ITER-Projekt schon 20 Mrd. EUR an Forschungskosten verschlungen und bis 2021 müsse die EU weitere 6,6 Mrd. EUR nachschiessen.

2. Hoher Energieaufwand, wenig Nutzen

Um durch die Verschmelzung von Atomkernen Energie für nur wenige Sekunden erzeugen zu können, muß 100 Mio. Grad heisses Plasma erzeugt werden. Das erfordert einen unglaublich hohen Energieaufwand, der bisher in keinem angemessenen Verhältnis zum Nutzen stehen würde. 

Prof. Dr Michael Dittmar, Physiker, ETH Zürich

3. Sicherheitsprobleme

Bei den Fusionsreaktoren könne im Prinzip keine Kernschmelze stattfinden, dennoch würden im Regelbetrieb Sicherheitsprobleme auftreten. Diese würden darin bestehen, dass auch die Innenwände des Plasmarings regelmäßig ausgetauscht werden müßten. Dadurch würde es zu einem notwendigen Betriebsstillstand kommen. Bei einer solchen zentral ausgelegten Technik hätte das u.U. gravierende Folgen für die Versorgungssicherheit, soweit es keine Kohle-und Gaskraftwerke mehr geben sollte und der Strom ansonsten aus  Windkraftanlagen kommt, so die Kritiker. Hinzu kommt, dass durch den Neutronenbeschuss der Innenwände des Plasmarings auch atomarer Abfall entstehen würde, der endgelagert werden muß.  

4. Auch Kernkraftwerke der 4. Generation sind keine Alternative

Der Physik-Nobelpreisträger Georges Charpak forderte bereits 2010 die Einstellung des ITER-Projektes wegen der hohen Kosten. Die Politik sollte vielmehr in die Forschung für Kernkraftwerke der 4. Generation stecken. Diese Kraftwerke sollen in der Lage sein, atomare Abfälle in Brennstoff zu verwandeln. So wäre das Problem der Endlagerung gelöst. Kritiker weisen aber darauf hin, dass es bisher nicht einmal einen Prototyp geben würde, sondern nur zwei Baustellen. Prof. Dr. Thomas Partmann vom Karlsruher Bündnis gegen neue Atomreaktoren ist gegen die Entwicklung von Kernkraftwerken der 4. Generation, da diese mit Thorium betrieben werden sollen. Wer auf Thorium setzt, so Partmann, könne auch gleich Atombomben verteilen. Sicher, sauber und billig wäre auch diese Technik nicht. 

Quellenhinweise:

Tagesspiegel vom 10.08.2010; Süddeutsche Zeitung vom 17.10. 2016; Stuttgarter Zeitung vom 17.01.2013 und  04.11.2016; Frankfurter Allgemeine vom 07.07.2016 und 28.07.2020; Wikipedia-Erläuterung zum ITER-Projekt; Spektrum.de vom 04.10.2018; ntv vom 06.12.2017; Ausgestrahlt-Magazin Nr. 40 vom August 2018; Stern vom 19.11.2019 sowie RK-Redaktion vom 17.08.2020

Header-Beispielfoto: Wolfgang Claussen, pixabay.com

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