Eine kritische Auseinandersetzung mit der Haltung des Thyssen-Krupp-Vorstands Miguel López zur „grünen“ Stahlproduktion macht deutlich, dass die jüngst erneut öffentlich vorgetragenen Bedenken gegenüber einer vollständigen Umstellung auf eine wasserstoffbasierte Produktion derzeit allzu berechtigt sind. Und das nicht nur vor dem Hintergrund der finanziellen Schieflage des Traditionskonzerns.
Die Herausforderungen einer klimafreundlichen Stahlproduktion, wie sie in der deutschen und europäischen Politik diskutiert werden, umfassen mehrere ökonomische, strukturelle und marktrelevante Aspekte, die vor allem im globalen Vergleich kritisch betrachtet werden müssen. Der zuständige BM für Wirtschaft, Robert Habeck (Grüne), verweigert bis heute eine sachgerechte Diskussion. Dafür haben wir das in der Vergangenheit schon öfters getan. (siehe > hier; > hier und >hier)
Hohe Umstellungskosten und technologische Unsicherheiten
Die größte Hürde für die Umstellung auf „grünen“ Stahl ist zweifellos die enorme Investition, die für den Einsatz von Direktreduktionsanlagen (DR-Anlagen) erforderlich ist. Diese Technologie, bei der Eisen ohne die wesentlich preiswertere Kokskohle mit Hilfe von Eisenschwamm hergestellt wird, setzt den Einsatz von Wasserstoff anstelle von Koks voraus.
Zwar könnte die Wasserstoff-Technologie langfristig den CO₂-Ausstoß der Stahlproduktion drastisch senken, wenn CO2 klimarlevant wäre. Ist es aber nicht. Und das ist das Hauptproblem, weil die Politik grüne Scheuklappen trägt und die physikalische Realität partu nicht zur Kenntnis nehmen will. Warum auch immer. Dafür laufen den Stahlunternehmen die Kosten davon.
Aktuellen Schätzungen zufolge belaufen sich die Investitionskosten allein für die Umstellung der deutschen Stahlindustrie auf etwa 30 bis 40 Milliarden Euro. Thyssen-Krupp, als einer der größten deutschen Stahlproduzenten, müsste signifikante Kapitalaufwendungen für die Modernisierung seiner Anlagen aufbringen, was das Unternehmen ohne umfangreiche staatliche Unterstützung in eine noch schwierigere finanzielle Lage bringen könnte. Daher hat die Bundesregierung 1,3 Mrd. Euro an Fördergeld bereitgestellt. ThyssenKrupp selbst trägt rund eine Mrd. Euro zum Aufbau von vier DR-Anlagen bei und das Land NRW steuert 700 Mio. Euro dazu. Ab 2029 sollen mit Hilfe der DR-Anlagen 143.000 Tonnen Wasserstoff in Duisburg verbraucht werden. Allerdings nur auf der Grundlage von Erdgas. Die Bundesregierung ist damit nicht einverstanden und hat schon Rückforderungen geltend gemacht.
Hohe Produktionskosten und fehlende Wasserstoffinfrastruktur
Ein weiterer zentraler Punkt, den López in seiner Kritik an die Politik adressiert, betrifft die dauerhaft höheren Produktionskosten, die mit der Nutzung von Wasserstoff einhergehen. Da Wasserstoff derzeit überwiegend aus Erdgas gewonnen wird und „grüner“ Wasserstoff (aus erneuerbaren Energien) nach wie vor nur in begrenzten Mengen zur Verfügung steht, bleiben die Kosten für die benötigte Wasserstoffmenge hoch und sind in den nächsten Jahren nur schwer absehbar. Außerdem laufen die Merhrkosten für geplante Direkt-reduktionsanlage derzeit aus dem Ruder. Hinzu kommt der Absatzrückgang beim Stahl.
Die notwendige Wasserstoffinfrastruktur, insbesondere eine Pipelineversorgung für große Industriestandorte, ist zudem in Deutschland und Europa nur ansatzweise entwickelt, was die betroffenen Unternehmen vor zusätzliche Herausforderungen stellt und die Produktionskosten in die Höhe treibt.
Wettbewerbsdruck durch chinesische Stahlpreise
Ein entscheidender Faktor, der die Kritik des Thyssen-Krupp-Vorstands nachvollziehbar macht, ist der internationale Wettbewerbsdruck, insbesondere durch die chinesische Stahlindustrie. China dominiert den globalen Stahlmarkt und bietet Stahlprodukte zu deutlich niedrigeren Preisen an, die 2024 aufgrund der niedrigen Rohstoff- und Produktionskosten besonders wettbewerbsfähig sind.
Im Durchschnitt liegt der Preis für Stahl aus China zwischen 30 und 50 Prozent unter dem Preis für „grünen“ Stahl aus Europa, der mit der neuen Technologie hergestellt werden soll. Diese Preisunterschiede verschaffen der chinesischen Stahlindustrie einen massiven Wettbewerbsvorteil. Sollten europäische Stahlproduzenten gezwungen sein, „grünen“ Stahl zu deutlich höheren Produktionskosten anzubieten, laufen sie Gefahr, Marktanteile zu verlieren oder Verluste hinnehmen zu müssen. Für ThyssenKrupp als Gesamtkonzern könnte das das Ende sein.
Der Preisdruck wird in einer globalisierten Welt zur existenziellen Bedrohung, da die Kunden in Europa und weltweit vermehrt kostengünstige Importe bevorzugen könnten. Soll das verhindert werden, wird der Staat zum Dauersubventionierer auf Kosten der Steuerzahler. Und auf das Klima hat die Umstellung so gut wie keinen Einfluß.
Umweltpolitische Verantwortung und ökonomische Realität
Das sich ein Stahlunternehmen umweltbewußt verhalten und alle Gesetze beachten sollte, versteht sich von selbst. Die Notwendigkeit einer klimafreundlicheren Produktion besteht allerdings nicht. Das die Politik seit Einführung des EEG im Jahre 2000 so vehement unter Rot-Grün eine Dekarbinisierung der Industrie und der gesamten Gesellschaft verfolgt, hat rein ideologische Gründe, die wissenschaftlich nicht begründet sind.
Das haben wir und andere Organisationen immer wieder belegt. Ein umfassender und weltweit abgestimmter Ansatz, der auch China und andere große Stahlproduzenten einbindet, ist nötig, um sicherzustellen, dass ökologische Fortschritte nicht auf Kosten der wirtschaftlichen Existenz der europäischen Stahlindustrie gehen. Bislang scheint jedoch eine solche internationale Abstimmung unrealistisch, was die Position von Miguel López stützt, da er die finanzielle und strategische Überlebensfähigkeit von Thyssen-Krupp im Fokus behält.
Und um das Überleben von ThyssenKrupp sieht es nach den zahlreichen Warnstreiks und dem enormen Umsatzeinbruch bei VW der letzten Wochen und Monate nicht gut aus.
Quellennachweise:
WAZ vom 09.08.2024 und 02.11.2024; Süddeutsche Zeitung vom 07.08.2024; taz.de vom 07.10.2024; Handelsblatt vom 14.10.2024; Weser-Kurier vom 08.03.2024; Deutsche-Verkehrs-Zeitung (dvz.de) vom 17.04.2024; FAZ vom 17.02.2024 sowie RK-Redaktion vom 14.11.2024
Fotonachweise:
Haeder: Vorder-und Hintergrund: pixabay.com; links darunter: KI-Foto: artguru auf pixabay.com; Freistellung: Revierkohle; links darunter: Logo: pixabay.com; Lopez-Zitat aus: WAZ vom 2.11.2024