Der Tod heißt in diesem Fall Rückbau und wird von den meisten Kumpels, die auf der Zeche Auguste Victoria in Marl angelegt und Jahrzente bis zum bitteren Ende 2015 malocht haben, als ein schmerzliches Ereignis angesehen. Die Rede ist vom bevorstehenden Abriss des 69 Meter hohen Stahlbetonförderturms über Schacht 7 des stillgelegten Bergwerks AV in Marl nebst 6 Nebengebäuden. Darunter die Schachthalle, die Skipgefäß-Entladestation, die Umformerhalle und zwei Grubenlüfter.
Der Wirtschaftsclub Marl bezeichnete das Industrieprojekt „Gate.Ruhr“ als unverzichtbar. Die Vorsitzende Uta Heinrich schwärmte genau so wie die Ratsfraktionen der Stadt als auch die RAG Montan-Immobilien GmbH von der großartigen und innovativen Zukunft vorwärtsstrebender Unternehm-en.
Innovativ ? Zukunftsfähig ? Diese Worte sind genau so großspurig und nichtssagend wie sie auch bei der Erschließung der bisherigen Schacht-standorte der in den letzten 20 Jahren stillgegelegten Zechen gedroschen wurden. So gut wie nichts ist davon Realität geworden. Weder kann man die Logistikbetriebe noch die mittelständischen Gewerbebetriebe auf den bisherigen Bergwerksstandorten als innovativ, arbeitsplatzschaffend oder gar zukunftsweisend bezeichnen.
Auf dem rd. 40 Hektar großen AV-Gelände in Marl soll ebenfalls ein Indu-striepark mit Logistikfirmen, Ausweitung des angrenzenden INEOS-und Evonik-Chemiestdandortes sowie einigen ganz normalen Gewerbe-betrieben entstehen. Angeblich sollen durch diese Ansiedlung rd. 1000 neue Arbeitsplätze entstehen.
Ob das alles neue und gut bezahlte Arbeitsplätze sein werden, die die 1,3 Mrd. teure Investition rechtfertigen, möchten wir an dieser Stelle wieder mal bezweifeln, weil das bisher schon nicht gestimmt hat. Und ob die neuen Arbeitskräfte auch soviel Nachfrage in Marl erzeugen werden, wie das die rd. 3000 Kumpels auf AV getan haben, dürfte wohl auch mehr als fraglich sein.
Zwar sind 1000 Voll-und Teilzeitkräfte besser als nichts, aber Superlativen sollte man sich angesichts des seit über 50 Jahren andauernden Strukturwandels besser ersparen. Mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein ist das nicht.
Was das Revier braucht, sind große Industriebetriebe mit Abertausenden von neuen Arbeitsplätzen. Die sind aber weit und breit nicht in Sicht. Und das wird auch noch lange so bleiben. Das Beispiel King-Coal County Dur-ham in Nordengland belegt, dass der Niedergang des Bergbaus folgen-schwer und nur schwer auszugleichen ist.
AUGUSTE VICTORIA *1899 bis +2015
Mit dem Rückbau verliert die Stadt Marl ein echtes Wahrzeichen, bedauerte Bürgermeister Werner Arndt. Was ihn aber nicht davon abhielt, im Rat der Stadt ebenfalls für den Abriss zu stimmen.
Auch die Bürgerinnen und Bürger scheinen durch die sich bis Sommer 2023 hinziehende Abrissorgie langsam wach zu werden und fangen an, sich zu wehren. Eine Bürgerinitiative hat sich gegründet und will u.a. den Abriss des romantischen Wäldchens an der Carl-Duisberg-Str. gegenüber AV 3/7 verhindern.
Das wiederum beunruhigte die Akteure der Stadt und der RAG Montan Immobilien, weil sie eine Verzögerung des Baufortschritts befürchteten.
Flugs hatte die Stadt zu einem Bürger“dialog“ in die Pauluskirche an der Römerstr. 61 in Marl eingeladen. Die Veranstaltung fand am 3.6.2022 statt.
Wenigstens die Schächte 1/2 sowie die ehemalige Rohkohlenaufbereit-ungshalle konnten bereits in 2014 und 2016 unter Denkmalschutz ge-stellt werden.
Noch in 2009 feierte das Bergwerk AV sein 110jähriges Bestehen. Über 10.000 Menschen ließen es sich nicht nehmen, diese einmalige und letzte Gelegenenheit zu einer Grubenfahrt am Tag der offenen Tür wahrzunehm-en. Am 9. und 10.Mai 2009 feierte auch die Grubenwehr von AV ihr 100 jähriges Bestehen. AV gehörte zu dieser Zeit zu den letzten 6 aktiven Zechen, die hochwertige Fettkohle produzierte. Jeden Tag bis zu 12.000 T und jedes Jahr bis zu 3 Mio. Tonnen. Auf AV lagerten rd. 59 Mio. T Kohle in dem 90 km großen Grubengebäude.
Wieviele davon unverritzt in den flözführenden Schichten zurückgelassen wurden, konnten wir nicht herausfinden. Aber unstrittig ist, das auf AV noch reichlich Kohle vorhanden ist. 2015 kam dann endgültig der Deckel auf den Schacht. Viele Bergleute hatten Tränen in den Augen und waren erschüttert. Denn AV war wie eine Familie.
Quellenhinweise:
Blach, Bernhard: 110 Jahre Bergwerk Auguste Victoria, in: RK-Montan-kultur-Rückblick 2009, Revierkohle (Hrsg.), Hamburg 2010, S. 54 ff; Deutschlandfunk vom 18.5.2015; RAG-Pressemitteilung vom 13.5. 2022; marl.de/rathaus-service vom 28.4.2022; Lokalkompass vom 02.10.2017; Marler Zeitung vom 07.11.2021 sowie RK-Redaktion vom 14.06.2022
Fotonachweise:
Header: AV 3/7 i.A., Foto: mit freundlicher Genehmigung von Sven Mense