Der Chemiekonzern Evonik Industries AG in Essen hat angekündigt, rund 2000 Führungskräfte abzubauen. Rund 7000 weitere Mitarbeiter könnten in Zukunft vom Konzernumbau betroffen sein. Von 8500 Abteilungen sollen 3.500 Abteilungen wegfallen. Einen solchen Aderlass hat es in der Geschichte des Chemieriesen noch nicht gegeben.
Die Vorstands-Entscheidung trifft die Belegschaft hart, besonders in den Führungsetagen. Die Angehörigen der Betroffenen, die regionale Wirtschaft und Gewerkschaften zeigen sich alarmiert. Doch was hat zu diesem drastischen Schritt geführt, und warum bleibt die RAG-Stiftung, der Hauptanteilseigner, stumm? Ein genauerer Blick legt Versäumnisse und fragwürdige Entscheidungen offen, insbesondere des Vorstandsvorsitzenden Christian Kullmann.
Fehlentscheidungen der Unternehmensführung
Christian Kullmann, seit 2017 Vorstandsvorsitzender, trägt eine nicht unerhebliche Mitverantwortung für die derzeitige Krise. Zwar betont Evonik in offiziellen Mitteilungen, der Abbau sei eine notwendige Reaktion auf die schwierige Marktsituation und im Prinzip wolle man doch nur „mehr“ für die Menschen erreichen. (Evonik-Eigenwerbung). Doch Experten weisen auf strategische Fehlentscheidungen hin, die bereits vor Jahren getroffen wurden.
Unter Kullmanns Führung setzte Evonik stark auf die Umstrukturierung hin zu Spezialchemikalien und den Ausbau des Geschäfts mit „grünen“ Technologien. Das war der erste große Fehler. Zwar mag diese Ausrichtung zukunftsweisend sein, jedoch nur solange, wie die Politik den Umbau mit finanziert. Die Transformation wurde jedoch ohne ausreichende Risiko-prüfung vollzogen. Gleichzeitig vernachlässigte das Unternehmen traditionelle Geschäftsbereiche, die jahrelang stabile Erträge geliefert hatten. Die Fokussierung auf wenige, hochinnovative Bereiche hat Evonik anfälliger für Marktschwankungen gemacht – ein Fehler, der sich jetzt rächt.
Christian Kullmann, Vorstandsvorsitzender von Evonik, hat in der Vergangenheit aber noch weitere Managemententscheidungen getroffen, die teils als Fehler betrachtet werden müssen.
Ein markantes Beispiel ist die Übernahme der Spezialadditive von Air Products im Jahr 2016 für 3,8 Milliarden Dollar. Die Verantwortung dafür trägt Kullmann allerdings nicht alleine, denn die Entscheidung zur Übernahme hatte der vorherige Vorstandsvorsitzende Klaus Engel getroffen.
Die Akquisition wurde von Analysten kritisch betrachtet, da sie den Konzern zwar vergrößerte, jedoch keinen signifikanten Einfluss auf den Börsenkurs hatte. Kritiker argumentierten, dass die Integration der übernommenen Unternehmen nicht effizient genug erfolgte und die erhofften Synergien ausblieben.
Darüber hinaus wurde die Kommunikation mit der Belegschaft als mangelhaft kritisiert. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beklagen, dass sie häufig erst durch die Medien über einschneidende Entscheidungen informiert wurden.
Immerhin konnte die zuständige Gewerkschaft IGBCE und der Evonik-Betriebsrat dem Vorstand den Ausschluß betriebsbedingter Kündigungen bis 2032 abtrotzen.
Die IGBCE verfolgt derzeit mit Argusaugen die geplante Ausgliederung der Evonik-Standorte in Marl und Wesseling mit rd. 3.600 Besachäftigten. Insgesamt beschäftigt der Konzern derzeit noch 32.000 Mitarbeiter.
Das Umbauprogramm läuft unter dem Titel “ Tailor Made“ und verfolgt das Ziel, die derzeit bestehenden 4 Divisionen auf 2 Geschäftsfelder zusammen zu dampfen. Diese sollen unter dem Namen „Custom Solutions“ und “ Advanced Technolgies“ geführt werden.
Evonik-Transformationsprozess das Schweigen der RAG-Stiftung
Die RAG-Stiftung, die mit einem Anteil von 47 % Hauptaktionär von Evonik ist, hat bisher keine Stellungnahme zum geplanten Personalabbau abgegeben. Aufsichtsratschef Bernd Tönjes (Vorstand der RAG-Stiftung und ehem. RAG-Chef) sprach nebulös lediglich von einer sinnvollen strukturellen Weiterentwicklung , welche zu einem profitableren Wachstum des Konzerns beitragen könnte.
Die nebulöse Sprache irritiert. Denn als Stiftung trägt die RAG auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Ihre Gründungsaufgabe, die Finanzierung der Ewigkeitslasten des Steinkohlebergbaus, schließt eine langfristige Sicherung des Wirtschaftsstandorts Essen und der Arbeitsplätze indirekt mit ein. So sehen wir das jedenfalls.
Ein möglicher Grund für die Zurückhaltung könnte in internen Interessenkonflikten liegen. Als Hauptaktionär steht die RAG-Stiftung zwischen wirtschaftlichem Druck und ihrem gesellschaftlichen Auftrag. Doch gerade in einer Krise wie dieser wäre ein klares Bekenntnis zu den Arbeitnehmern und der Region vonnöten. Stattdessen verkaufte die RAG-Stiftung im Mai 2024 23,4 Mio. Evonik-Aktien und erlöste dabei einen Gewinn von 468 Mio. Euro.
Folgen für die Region und die Glaubwürdigkeit
Bernhard Blach
Vorstand Revierkohle
vorläufiges Fazit:
Evonik steht also an einem Scheideweg. Der Vorstand muss sich dringend die Frage stellen, wie Vertrauen und Stabilität zurückgewonnen werden können. Dazu gehört eine ehrliche Analyse der Fehler, eine offene Kommunikation mit der Belegschaft und die Suche nach alternativen Einsparpotenzialen, die den Arbeitsplatzabbau minimieren. Die Gewerkschaft IGBCE fordert in diesem Zusammenhang die Einrichtung eines Transformationsfonds. Auch wolle man darauf achten, das Investitionen in Zukunft Vorrang vor Ausschüttungen an die Aktionäre haben sollen. Dafür werde man in den kommen Monaten streiten, so IGBCE- Hauptgeschäftsführer Alexander Brecht.
Quellenhinweise:
Wirtschaftswoche (wiwo.de) vom 06.03.2024; tagesschau.de vom 04.03.2024; Merkur.de vom 05.03.2024; Focus.de vom 01.08.2024; hessenschau vom 11.10.2024; Spiegel.de vom 13.12.2024; FAZ vom 13.12.2024 , WAZ vom 14.12.2024 sowie RK-Redaktion vom 14.01.2025
Fotonachweise:
Header: Evonik-Zentrale: Youtube-Screenshot; sonstige Grafik-Elemente: vidstockgraphics; Hintergrund: pixabay.com, links darunter: Youtube-Screenshot