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Freiheit Emscher – eine perfekte neue Welt ?

nach Abschluss aller Rückbauarbeiten auf Prosper-Haniel bleibt fast nichts, wie es ist

Wenn Politiker von Freiheit schwadronieren, dann ist damit meistens die unternehmerische Freiheit gemeint. Und die soll nun mit Hilfe von RAG Montan-Immobilien, Stadt Bottrop und Stadt Essen ein Entfaltungspotential erhalten, welches alle bisher in der Region durchgeführten Infrastrukturmaßnahmen in den Schatten stellen wird. Gemeint ist die wirtschaftliche Erschließung und Sanierung ehem. Bergbauflächen. Bei den anstehenden Rück-und Umbau-maßnahmen handelt es sich um ein 1.700 Hektar großes Areal, welches sich vom Bottroper Süden bis hin zum Essener Norden mit dem Stadthafen erstreckt.

Bereits im Mai 2019 informierte die Stadt Essen die Öffentlichkeit über das größte Stadtentwicklungsprojekt in NRW. Noch in diesem Jahr werden die Bagger am ehem. Schachtstandort Emil Emscher anrücken und mit dem aufräumen, was der Bergbau hinterlassen hat.

Dem Masterplan „Freiheit Emscher“ liegt eine Vision zugrunde, die mit Freiheit recht wenig zu tun hat, mit Geld verdienen aber dafür umso mehr.

Echte Freiheit wäre, wenn die Bürger und Bürgerinnen entscheiden könnten, ob Sie den Abriss Ihrer Geschichte oder ob sie eine andere Nutzung der Bergbau-Hinterlassenschaften wünschen. Aber sie werden nicht gefragt, sondern nur formal-juristisch angehört. Wie schon bei anderen Masterplänen, wo es um die Umgestaltung ehem. Bergbaustandorte ging, hieß es stets voll-mundig, dass man die Region und die Fläche zu einem pulsierenden ökonomischen Zentrum entwickeln wolle. Gerne wurden solche Projekte auch mit dem Zusatz „Zukunft“ oder „klimafreundlich“ versehen. Stets versprach man Wohlfühloasen und neue Arbeitsplätze.

Wenn wir uns heute in der Region umsehen, müssen wir feststellen, dass von den Visionen in der Regel nicht viel übrig geblieben ist.

Auf den 10 ehemaligen Bergwerken, die seit 1999 geschlossen  wurden und auf denen rd. 12.000 Menschen mit anständiger Bezahlung vollzeitbeschäftigt waren, sind gerade einmal rd. 3000 neue Arbeitsplätze entstanden.

Die meisten davon in mittelständischen Betrieben, die es vorher auch schon gab. Und die Bezahlung liegt ebenfalls i.d.R. weit unter dem Lohn, den die RAG ihren Beschäftigten zahlte. Und selbstverständlich sind auf den neuen Arbeitsplätzen auch etliche Menschen darunter, die teilzeit-oder befristet beschäftigt sind. (Beispiele: Supermärkte und Theaterbetrieb auf der ehem. Zeche Consolidation in Gelsenkirchen-Bismarck, Bäckerei, Theaterbetrieb, Handwerks und Logistikbetriebe auf der ehem. Zeche Ewad 3/4/9 in Herten)  

Bis 2027 sollen nun die Bergbauflächen am Rhein-Herne-Kanal einschließlich des Bergwerksge-ländes Prosper-Haniel in Bottrop vermarktet werden. Dazu muß das Gelände mit Straßen, Brücken, Leitungen etc. erschlossen werden. Einen dreistelligen Millionenbetrag haben die Plan-er dafür veranschlagt. Da eine solche Summe weder von der Stadt Bottrop, der Stadt Essen noch der RAG Montan-Immobilien als derzeitiger Noch-Eigentümer gestemmt werden kann, soll das Land NRW, der Bund und die EU Fördermittel für das strukturschwache Revier bereitstellen.

Wie trost-und geschichtslos eine solche Zukunft aussieht, kann man sich beispielhaft an der an-geblich musterhaften Sanierung der ehem. Bergbaufläche Graf Bismarck in Gelsenkichen ver-gegenwärtigen. Von der ehem. Schachtanlage , auf der bis 1966 immerhin über 6000 Bergleute beschäftigt waren, ist bis auf die ehem. Kaue nichts mehr zu sehen. Dafür stehen nun in Reih und Glied gleichförmige weiße Einfamilienhäuser mit 12 Quadratmeter großen einheitlichen Vorgärten direkt am Rhein-Herne Kanal. Neue Arbeitsplätze? Fehlanzeige.

Nicht ganz so geschichtslos sieht es auf dem ehem. Bergwerk Hugo 2/5/8 in Gelsenkichen-Buer aus. Immerhin wurde Schacht 2 und die ehem. Kaue privat saniert und es wurde  auf dem Gelände ein sog. Biomassepark angelegt. Neue Arbeitsplätze ? Ebenfalls Fehlanzeige. Das dort ansässige Forstamt hatte nach Schließung der Zeche im Jahr 2000 seine Mitarbeiter nur verlegt.

Und ein drittes Beispiel aus der gleichen Stadt verdeutlicht, wie wenig Zukunft mit wenig Phantasie und noch weniger neuen Arbeitsplätzen auf ehem. Bergwerksstandorten tatsächlich eingerichtet wurden. Am Standort Bergwerk Lippe (ehem. BW Westerholt) in Gelsenkirchen hat sich seit der Schließung der Zeche im Dez. 2008 bis heute fast nichts getan. Das Bergwerk befindet sich im Dornröschenschlaf. Neue Arbeitsplätze auf den Nebenanlagen Polsum 1/2; Altendorf, Wulfen 1/2, Baldur 1 sind ebenfalls nicht entstanden. Eine Ausnahme bildet das ehem. selbständige Bergwerk Fürst Leopold in Dorsten. Dort sind rd. 150 neue Arbeitsplätze entstanden. Hauptsächlich in der Gastronomie und im Kunstbereich. Das die  gezahlten Löhne kaum dazu beitragen können, die Nachfrage nennenswert zu stärken, versteht sich fast von selbst. Immerhin wird dafür auf Fürst Leopold wieder fröhlich gefeiert.

Oder nehmen wir das Beispiel Zeche Lohberg in Dinslaken. Auf dem im Dez. 2005 stillgelegten Bergwerk arbeiteten rd. 3000 Bergleute. Die Zeche war der größte Arbeitgeber in der Region. Bis auf das Verwaltungsgebäude, die Kaue, das ehem. sog. Ledigenheim und das Schachtgerüst ist von der Zeche trotz Widerstand aus der Bevölkerung fast nichts übrig geblieben.

Statt dessen wurde ein großer See mit steiniger Uferpromenade angelegt und das ganze als „Kreativ-Quartier-Lohberg“ ausgegeben. Es herrscht dort Tristesse und gähnende Langeweile.  Besonders kreativ glaubten die Macher zu sein, als sie proklamierten, das Gelände würde nur Öko-Strom erhalten. Sind denn wenigstens jede Menge neue Arbeitsplätze entstanden ? Leider auch Fehlanzeige.

Auf der ehem. Schachtanlage Auguste-Victoria in Marl sieht es dagegen etwas besser aus. Auf dem Gelände des 2015 stillgelegten Bergwerks sollen sich neue Gewerbe-und Logistikfirmen ansiedeln. Das Projekt nennt sich „gate.ruhr“ und soll rd. 1000 neue Arbeitsplätze schaffen. Das wäre dann im besten Fall jedoch auch nur ein Drittel der ehemals gut bezahlten 3000 Arbeitsplätze, die in Marl verloren gegangen sind.

Es ist daher zu befürchten, dass die Entwicklung auf Prosper-Haniel in Bottrop genau so abrisswütig, trost-, phantasie-und geschichtslos verlaufen wird, wie auf den anderen ehem. Schachtstandorten auch.

Aus der Sicht des freiheitlichen Unternehmertums sieht die Sache natürlich viel positiver aus. Kein Wunder bei den Summen, die zur Verfügung gestellt werden sollen.  

Bis zur vollständigen Erschließung der Schachtanlage im Jahre 2027 steht noch viel Arbeit an, bevor von den neuen Nutzern ordentlich kassiert werden kann.

Zunächst müssen die seit Sept. 2018 laufenden Rückbauarbeiten über und unter Tage auf dem Bergwerk Prosper-Haniel abge-schlossen werden, bevor die Schächte Anfang 2020 standfest ver-füllt werden können.

Das ursprünglich geplante Unterflur-Pumpspeicherkraftwerk am Schacht Franz wird aus Kostengründen nicht gebaut.

Immerhin hätten dadurch rd. 150 Bergleute ihren Arbeitsplatz be-halten können und die Stadt hätte sich das Logo „klimaneutral“  auf die Verwaltungsbrust heften können. Der unter Denkmalschutz stehende Malakowturm PH 2 wird künftig an der geplanten Um-welttrasse liegen. Dabei handelt es sich um einen schnöden und nun fast schon an jeder Ecke befindlichen Fuß-und Radweg im Revier,  auf dem sich die Ruhris mittlerweile zu Tode latschen können. Außer dem dann noch stehenden Malakowturm mit der alten Kaue gibt es beim vorbeilaufen allerdings dann nicht mehr viel zu sehen. Sämtliche Übertageanlagen sollen abgerissen werden. Ein Funktionszusammenhang wäre nicht mehr erkennbar. Möglicherweise bleibt aber das markante Fördergerüst über Schacht Franz für die Nachwelt erhalten. Einen Kahlschlag wird es dagegen am Schacht 9 und 10 geben. Dort sollen sich Start-ups niederlassen und es soll ein „Gewerbeboulevard“ für 5 Industrie-Handwerks-und Digitalbetriebe entstehen. Neue Wohnungen für zahlungskräftige Mieter bzw. Eigentümer sollen ebenfalls ge-schaffen werden. Und natürlich hört man von den Akteuren eilfertig, dass die neuen Quartiere „immense Chancen“ für die Schaffung neuer und moderner Arbeitsplätze bieten würden.

Prosper-Haniel 2

Malakowturm

PH – Schacht 10

PH – Schacht 9

PH – Wetterschacht Hünxe

Kohleaufbereitungsanlage

               alle Fotos: Revierkohle

Markus Masuth, RAG-Montan-Immobiien. Sieht in dem Projekt eine historisch einmalige Chance, den industriellen Dschungel zu lichten.
OB Thomas Kufen, Stadt Essen. Sieht in dem Projekt einen Nukleus mit Strahlkraft
OB Bernd Tischler, Stadt Bottrop. Sieht die Freiheit Emscher als großes Infrastrukturprojekt; Fotos: Stadt Bottrop

Freiheit Emscher

Strategen und Strategien

Das Projekt „Freiheit Emscher“ wird getragen von der RAG-Tochter RAG-Montan-Immobilien GmbH als bisheriger Eigentümerin der Bergbauflächen, der Stadt Bottrop und der Stadt Essen. Alle drei Akteure haben ein lebhaftes Interesse an der wirtschaftlichen Erschließung der Flächen. Die RAG Montan-Immobilien GmbH will Kohle machen, um die Sanierungs- und Herrichtungskosten der alten Brachflächen wieder hereinzuholen. Verständlich, denn aus Sicht der RAG sind Brachflächen totes Kapital. Die Städte Bottrop und Essen sind klamm und daher ebenfalls dringend auf Gewerbe- und Grundstückssteuereinnahmen angewiesen. Logisch, das daher nicht in erster Linie an der Schaffung von neuem sozialem Wohnungsbau gedacht werden kann.

Qullenhinweise:

Freiheit-Emscher.de (Projektvorstellung); WDR vom 28.11.2018; Recklinghäuser Zeitung vom 29.08.2019; Pressemitteilung Stadt Essen vom 6.5.2019; WAZ vom 17.01.2019 und RK-Redakt-ion vom 27.09.2019.

Fotos: ganz oben: Emscherfluss, pixabay; Ebenen-Veränderung: Revierkohle; Mitte: zerstörte Uhr: Markus Messmann, Prosper-Haniel-Transparenzhintergrund: Revierkohle; ganz unten links: Tetraider Bottrop: tigersite; Halde Haniel: Angela HB; Gasometer: Markus Lindner, Danke Kumpel: Revierkohle, Bergmann: RAG; ansonsten: pixabay.com

Jedenfalls steht u. E. n. eines fest: das neue Stadtgebiet „Freiheit Emscher“ das sich zwischen Welheimer Mark und Sturmshof in Bottrop sowie Hafen Coelln Neuessen und Emil-Emscher in Essen erstrecken wird, wird nicht mehr viel von dem vertrauten alten Ruhrgebiet übriglassen.
 
Ein oder zwei Fördertürme, die einsam in der dann völlig umgekrempelten Landschaft stehen werden, umgeben von einförmigen modernen Funktionsbauten, akkurat angelegten neuen Wegen und Straßen incl. neuer Autobahnanbindung für den LKW-und Durchgangsverkehr werden kaum in der Lage sein, den dort dann lebenden Menschen das verloren gehende  Heimatgefühl wieder zurückzugeben. Denn es wird die für das Ruhrgebiet typische urban-kleinteilige Siedlungskultur fehlen. Und ob in den neuen Geschäften und Gastronomiebetrieben so etwas wie eine neue Authentizität mit hohem Vertrautheitscharakter entstehen wird, ist eher unwahrscheinlich. Denn was dann ebenfalls fehlen wird,  ist die gemeinsam gelebte Ge-schichte, dass, worauf man stolz war, dort und nur dort zu wohnen. Der Bergbau bildete die Klammer und das Verbindendende. Er war gemeinsames Thema. Die Region ist nun „Bergfrei.“  Ob sie dadurch auch liebens-und lebenswerter wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls wird es lange dauern.
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