Nach Stilllegung der Zeche Auguste Victoria in Marl 2015 erfolgte die Einstell-ung des untertägigen Grubenwasserpumbetriebs im Mai 2019. Zu dieser Zeit wurde vermutet, dass sich das ansteigende Grubenwasser in Richtung Dorst-en zur Grubenwasserzeche Fürst Leopold bewegen wird. Daher teufte man Schacht 1 auf 600 Meter ab und baute ein neues Gebäude auf dem Zechen-gelände der 2001 stillgelegten Zeche neben Schacht 2 auf. Dieser sollte als weiterer Grubenwasserstandort genutzt werden. Dazu kam es aber nicht, da dass Grubenwasser sich einen anderen Weg suchte. Und so blieben die Be-triebsräume samt neuer Fördermaschine ungenutzt.
Im Jahre 2017 erfolgte dann die Teilverfüllung von Schacht 2. Auf der 600-Meter-Sohle wurde eine Schalungsbühne eingebaut. Diese trägt eine Kletter-schalung, in der eine Großröhre eingezogen wurde. 70 Mitarbeiter von RAG, Thyssen-Schachtbau und BBM-Service GmbH bauten in 13.000 Mannschicht-en Fürst Leopold 2019 zum Sicherungsstandort um. Sollte das Grubenwasser unverhofft steigen und ein Hängepumpenbetrieb auf einer der 6 anderen Grubenwasserzechen ausfallen, kann man den Betonpropfen schnell wieder aufbohren und die Anlage auf Hängepumpenbetrieb aufrüsten. Zu diesem Zweck bleibt sowohl die vorbereitete Technik als auch die neuen Räumlich-keiten auf Fürst Leopold bestehen.
Nun stellte sich für die RAG allerdings die Frage, was man mit dem Betriebsgebäude zwischen-zeitlich machen soll. RAG-Stiftungschef Bernd Tönjes hatte eine rettende Idee, um das Gebäu-de vor Verfall und Vandalismus zu schützen. Er besann sich auf den Kreuzweg auf der Prosper-Haniel-Halde in Bottrop.
Dort stehen 14 in Bronze bearbeitete Reliefs der 2001 verstorbenen Künstlerin und Nonne Tisa von der Schulenburg (Sr. Paula), die den Leid-ensweg Christi bis zum Haldenkreuz darstellen. Daneben wurden bergmännische Maschinen und bergm. Gezehe aufgestellt.
Die Künstlerin und Nonne Tisa von der Schulen-burg aus dem Ursulinenkloster in Dorsten fühlte sich Zeit ihres Lebens eng mit dem Bergbau und den Bergleuten verbunden. Über den Berg-bau schrieb Sie z.B. 1945. “ Mehr denn je zog mich die schwarze Tiefe an. Mit Wucht war das Zeichnen durchgebrochen…“
Sie zeichnete die Männer bei der Anfahrt, beim Bohren im Gestein, Männer vor der Ortsbrust. Kniend, hockend, liegend. Und sie bewunderte den Mut der Bergleute, der ohne Pathos daher-kam. Der Schildausbau und die EHB-Einschien-enhängebahn hatten es ihr besonders angetan. Für eine Nonne sicherlich ein ungewöhnliches Statement.
wer war Tisa von der Schulenburg ?
Tisa von der Schulenburg wurde 1903 auf dem mecklenburgischen Gut Tressow geboren. Sie verbrachte ihre Kindheit und Jugend in London, Pots-dam, Berlin und Münster. 1925 studierte sie Bildhauerei bei Max Liebermann in der Kunstakademie Berlin. Während dieser Zeit lernte sie Bertolt Brecht, Paul Levi, Max Pechstein, Albert Einstein und Thomas Mann kennen. Es wurde viel über Kunst und Politik diskutiert. In Berlin lernte sie dann den jüdischen Unternehmer Fritz Hess kennen und heiratete diesen 1928.
1933 emigrierte sie wegen der beginnenden Nazi-Diktatur nach London. Dort lernte sie den Bildhauer und Maler Henry Moore kennen und versuchte sich daher an Bronzeskulpturen. Das war allerdings nicht so ganz ihr Ding. Viel mehr gefiel ihr das Relief. Sie hielt Vorträge über Kunst und bot Schnitzkurse in der Grafschaft Durham in England an. Dort wurde sie mit dem Elend von 20.000 arbeitslosen Bergleuten konfrontiert. Sie solidarisierte sich mit ihnen und half ihnen bei der Organisation von Lebensmitteln. Als Belohnung durfte von Schulenburg in ein Bergwerk einfahren. Dort hat sie die Liebe zum Berg-bau wohl erstmalig gepackt. Und diese Liebe ließ sie bis zu ihrem Tod im Jahre 2001 nicht mehr los.
1938 wurde ihre Ehe mit Fritz Hess geschieden. 1939 heiratete sie ihren Jug-endfreund Carl Ulrich von Barner. Aus Angst vor den Russen floh sie Ende 1945 nach Travemünde zu Verwandten und wurde Sekretärin bei der britisch-en Militärverwaltung. 1946 wurde die Ehe mit Carl Ulrich von Barner ge-schieden. Anschließend zog sie nach Glinde bei Hamburg und arbeitete als Wohlfahrtspflegerin im Militärdepot der Engländer. 1947 fing sie als freie Mitarbeiterin bei der Hamburger Zeitung „Die Welt“ an und reiste auch ins Ruhrgebiet.
Genauer gesagt: nach Recklinghausen. Dort wohnte mittlerweile ihr Bruder Fritz-Dietlof, der es nach dem Krieg bis zum Regierungsassessor im Ober-bergamt gebracht hatte. Über diese Beziehung gelang es ihr, an Grubenfahrt-en auf den Zechen Präsident, Carolinenglück, Unser Fritz, Hannbal und General Blumenthal teilnehmen zu können. Und da brach sie wieder vollends durch: die Liebe zum Bergbau und zur Kunst. Vortan begann sie wieder zu zeichnen und zu schnitzen.
Nach einer Buchlektüre über den Kath. Münsteraner Bischof August Graf von Galen und seinem Widerstand gegen die Nazis entschloss sie sich, zum Katholizismus überzutreten. Aber dabei blieb es nicht. Über Bekannte in Reck-linghausen bekam sie Kontakt zu den Ursulinen des gleichnamigen Klosters in Dorsten, wo heute noch 10 Nonnen einsitzen. Für das durch den Krieg zer-störte Kloster stellte sie Marienfiguren, Kreuze und andere Plastiken her, die sie dann erfolgreich verkaufte. Das Geld wurde in den Aufbau des Klosters investiert.
1950 trat sie dann als Schwester Paula in das St.Ursula-Kloster ein. Danach unterrichtete sie 13 Jahre lang als Lehrerin im nebenliegenden klostereigenen Gymnasium Kunstgeschichte und Zeichnen. Nach dem Ende ihrer Lehrtätig-keit widmete sie sich ganz dem Herrn und ihrer Kunst. Sie entwarf Bronze-und Aluminiumgüsse, Brunnenanlagen, Säulen, Ehrenmale, Fenster-und Wandgestaltungen und auch den Kreuzweg auf der Bergehalde Prosper-Haniel in Bottrop.
1994 zeichnete sie die damalige BM für Frauen und Jugend und spätere Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel, für ihr künstlerisches und soziales Enga-gement mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande aus. Als „Heilige Barbara des Ruhrgebietes“ wurde sie auch von den Bergleuten vereehrt. Sie ließ es sich nicht nehmen, an der Mahnwache vor der Stilllegung des Bergwerks Fürst Leopold in Dorsten 1997 teilzunehmen und den Bergleuten Mut zuzu-sprechen. Sie nannte sie gerne auch „meine dunklen Brüder.“ Heute erinnert eine von ihr geschaffene Bronze-Stein-Plastik in Dorsten an diese denk-würdigen Tage.
Sr. Paula schuf über 400 künstlerische Werke und erstellte zahlreiche Schrift-en. Vieles davon lagerte bisher im Keller des St. Ursula-Klosters in Dorsten. Durch die rettende Idee von Bernd Tönjes wurde das bis auf weiteres nicht mehr gebrauchte Maschinen-und Bürohaus am Grubenwasser-Sicherungs-stand Fürst Leopold drei Jahre lang zu einem neuen Archiv-, Ausstellungs-und Begegnungszentrum für die von der Stadt Dorsten 1990 errichtete „Tisa-von-der Schulenburg-Stiftung“ umgebaut.
Sowohl das Gebäude bleibt im Eigentum der RAG und die Hinterlassen-schaften von Sr. Paula gehören ebenfalls nach wie vor dem Kloster. Die Stift-ung, zu dessen Vorstand übrigens auch der letzte BW-Direktor auf Prosper-Haniel, Dr. Heinz-Werner Voß, angehört, verfügt über ein Vermögen von rd. 50.000 EUR. In den RAG-Räumlichkeiten neben Schacht 2 sollen demnächst, Lesungen, Ausstellungen, Preisträger-Verleihungen und Theaterveranstalt-ungen stattfinden. Die Stiftung tagt dort ebenfalls. Das Gebäude verfügt neb-en Büros auch über einen Tagungsraum. Eine Werkstatt ist ebenfalls vor-handen.
links: kaum als solches von außen zu erkennen: das Ursulinenkloster mit angeschlossenem Ursu-linen-Gymnasium in Dorsten-Hervest.
Foto: Dat Doris, CC-BY-SA-4.0, wikimedia commons
Quellenhinweise:
RAG-Pressmitteilung vom Nov. 2021; Dorsten-On-line.de vom 23.11.2021; wikipedia.org; Werkszeit-schrift Steinkohle 11/2017 und 5/2019; Dorsten-Lexikon.de; Tisa-von-der-Schulenburg. de/ Werke; Industrie-und Denkmalstiftung NRW sowie RK-Redaktion vom 14.12.2021