anschließend entsteht das Wohnquartier Friedrich Heinrich
Kaum war das Totenglöckchen auf dem Bergwerk Saar in Ensdorf im Juni 2012 erloschen, da mussten wir schon die nächste Beerdigung bekanntgeben. Am 31.12.2012 wurde die letzte Förder-schicht auf dem Bergwerk West (Friedrich-Heinrich) verfahren. Rund 20.000 Besucher verabschiedeten sich nach 100 Jahren Berg-bau in Kamp-Lintfort von „ihrem“ Bergwerk. Mit der in sichtweite liegenden Bergarbeitersiedlung bildete die Zeche einen familien-ähnlichen Verbund. Den Glanz, die Herrlichkeit und den Wohlstand, den die Zeche brachte, kann man noch heute an der vorhandenen Lohnhalle nebst Verwaltungsgebäude an der prachtvollen Friedrich-Heinrich-Allee nebst Direktorenvilla ablesen. Aber nun kommt der Glanz mit der Landesgartenschau 2020 auf Friedrich-Heinrich, aber leider nur bis Okt. 2020.
Weniger bewundernswert ist, dass es die Stadt Kamp-Lintfort nicht geschafft hat, auch nur annähernd die über 4500 verloren ge-gangenen Arbeitsplätze (in 2009) zu ersetzen, geschweige denn ebenso gut bezahlte neue Arbeitsplätze zu schaffen. Selbst als die Zahl der Bergleute in 2011 auf 2.300 zurückging, schrillten bei der Stadt immer noch nicht die Alarmglocken, obschon wir die Stadt mehrmals auf die mögliche desolate Lage nach der Bergbauära aufmerksam gemacht hatten. Immerhin handelte es sich beim BW FH um den größten Arbeitgeber in der Stadt. Und es passierte arbeitsmarktpolitisch betrachtet, als nur noch rd. 400 Bergleute vom 1.1. 2013 bis 31.12.2013 mit dem Rückbau beschäftigt waren, immer noch fast nichts. >>
Einzige Ausnahme: 2014 wurde die Fachhochschule Rhein-Waal auf der 86,4 Hektar großen Betriebsfläche angesiedelt. Ein scheußlich-quadratischer Nutzbau ohne Seele mit wenigen Pro-fessorenstellen. (105 an drei Standorten) Der überwiegende Teil des wissenschaftlichen Personals (413 MA) befindet sich – wie an allen Hochschulen in Deutschland – in prekären und befristeten Beschäftigungsverhältnissen.
Zwar nicht befristet, dafür aber ebenfalls schlecht bezahlt werden die zu schaffenden Arbeitsplätze bei den neu anzusiedelnden Logistikbetrieben auf der ehem. Kohlenlagerfläche sein, die auf FH errichtet werden sollen, wie die Situation in den Logistikbetrieben auf anderen ehemaligen Bergwerksstandorten zeigt. Generell liegt die Bezahlung in der Logistikbranche mit durchschnittlich 1.900 EUR brutto im Monat 12 % unter allen Durchschnittslöhnen aller Branchen.*) Dann werden noch ein paar Handwerksbetriebe hinzu kommen, die auch nicht viele neue Arbeitsplätze schaffen werden und fertig ist der Lack.
Als Einnahmequelle für die Stadt verbleibt dann nur noch der Handel, die Grundsteuer für die noch zu bauenden Einfamilien-häuser auf FH und die Freizeitwirtschaft. Letztere soll als Impuls-geber auf Friedrich-Heinrich in Gestalt der Landesgartenschau (LaGa) ab 15.Mai 2020 fungieren und die zur Zeit noch gähnende Brachfläche mit Blümkes und großzügigen Grünflächen ausfüllen, bevor die Bagger das Bergwerksgelände erneut druchpflügen.
Doch auch diese schöne Veranstaltung kann nicht davor täuschen, dass sie nicht geeignet ist, neue Arbeitsplätze und Firmen auf das Bergwerksgelände zu locken. Dieser Versuch ist bereits in 1997 durch die damalige Bundesgartenschau auf der 1993 stillgelegten Schachtanlage Nordstern in Gelsenkirchen-Horst gescheitert. Die neuen Arbeitsplätze, die dort in der ehemaligen Wagenumlaufhalle geschaffen wurden, waren vorher bereits vorhanden (Viva West). Lediglich ein kleines Hotel und kleinere Betriebe haben sich neu angesiedelt. Der Zechenpark ist zwar auch heute noch sehr hübsch, aber weitgehend leer, wenn man einmal vom Biergarten im Sommer vor Schacht 1 absieht.
zwei Ministerien fördern die LaGa
blühender Zechenpark soll Besucher begeistern
Für 18,50 EUR kann sich der/die Besucher/in ab 15.5.2020, soweit der Coronavirus und die Behörden das zulassen, auf dem 86 Hektar großen Bergwerksgelände, welches zu einem großen Blumengarten mit vielen Grünflächen vorübergehend umgestaltet wird, bis zum 11. Okt. 2020 verlustieren. Die Gartengestaltung nimmt Motive der Industriekultur auf und bindet z.B. bergmännisches Gezehe und bepflanzte Kauenkörbe in die Ausstellung mit ein. Eine Attraktion wird der wiederhergerichtete Lehrstollen und das Pumpenhaus sein.
2017 begann der Abriss der Kohlenwäsche und Aufbereitung auf fh
abgerissen wurden auch die Schachtumbauten um Schacht 1
Blick von Schacht 2 auf Schacht 1. So sah die Anlage in 2012 noch aus
Am 12.12.2018 hatte der Rat der Stadt Kamp-Lintfort beschlossen, dass auf dem Zechenareal ein Stadtquartier, ein Stadtpark und vorübergehend die Landesgartenschau angesiedelt werden sollen. RAG-Montan-Immobilien zeichnet als Flächeneigentümer für die Umgestaltung sowie für die Altlast-sanierungen verantwortlich.
Gott sei Dank wurden die denkmalpflegeri-schen Auflagen der unteren Denkmalbe-hörde als auch des Rheinischen Amtes für Denkmalpflege berücksichtigt, so dass nicht alle Übertageanlagen der Spitzhacke zum Opfer gefallen sind. Das ist keines-wegs selbstverständlich, denn der Eigen-tümer kann immer geltend machen, dass der Erhalt eines Denkmals nicht zumutbar ist. Die Besucher der Landesgartenschau können sich daher weiter an einigen mar-kanten Zechengebäuden erfreuen.
Zu ihnen zählt das deutsche Strebengerüst über Schacht 2 des Typs Promnitz aus dem Jahre 1911 (ehem. Wetterschacht), das Lüftergebäude Schacht 2 aus dem Jahre 1911 sowie das dazugehörende Förderma-schinenhaus, das Magazin von 1912, die Permutitanlage, das monumentale Verwalt-ungs-und Kauengebäude aus dem Jahre 1912 mit mittelalterlicher Wehrstruktur aus der wilhelminischen Zeit , der Mannschafts-gang, die Werkstatt von 1912 , der Loko-motivschuppen, der Schirrhof (Instandhalt-ungszentrum mit Freifläche), das Pumpen-haus von 1922 sowie der ehem. Lehr-stollen.
Der Betonförderturm über Schacht 1 wurde leider nicht unter Denkmalschutz gestellt. Ob er erhalten werden kann, ist davon ab-hängig, ob eine wirtschaftlich tragfähige Folgenutzung entwickelt werden kann. Während der LaGa fungiert der 70 Meter hohe Förderturm als Aussichtsplattform.
neuer Tierpark Kalisto auf FH
Landesgartenschau 2020 - auch für die Kinderbelustigung ist gesorgt
Im Zentrum des zukünftigen Stadtparks werden sich zwei begehbare Erhebungen befinden, der sog. Kleine und Große Fritz. Hinter den Zechenbauten wurden offene Wiesenflächen mit viel Gehölz angelegt. Neu angelegte Fuß-und Radwege (altes Schema auf fast allen ehem. Zechenarealen) begleiten den Wasserlauf der vorbeifließenden „Großen Goorley.“
Der Besucher kann sich wahlweise zu Tode latschen oder radeln bis zum Kloster Kamp, einem ehem. Zisterzienserkloster. An den Uferböschungen wird bald ein neuer Lebensraum für Planzen und Tiere entstehen. Gut nur, dass die keine Arbeitsplätze benötigen.
Doch bevor die Langeweile sich breit macht, hat Min.Präs. Armin Laschet zunächst die Schirmherrschaft über die Landesgarten-schau 2020 übernommen. Er pflanzte auf FH einen Amberbaum. Für die Kinderbelustigung wird auf der LaGa ebenfalls gesorgt. Auf einem 1,5 Hektar großen Gelände von FH wurde ein kleiner Tierpark ge-schaffen, der auf den Namen „Kalisto“ hört. Großspurig fungiert er als „erlebnispädagogisches Zentrum Niederrhein.“ Den Kindern wird es aber wohl egal sein. Sie wollen einfach nur Spaß haben.
Motor der Entwicklung mit hoher klimatischer Bedeutung ?
Klarstellung und Kritik
Bevor Sie uns missverstehen, sei klargestellt: wir kritisieren keineswegs die Bemühungen der RAG Montan-Immobilien, der Stadt Kamp-Lintfort und des Landes NRW, das Zechen-areal auf FH einer städtebaulich sinnvollen Folgenutzung zuzuführen. Auch ist die An-siedlung von Gewerbebetrieben, Wohnquar-tieren und die Schaffung von Grünzügen auf den Zechenbrachen der RAG besser als das Gelände verwahrlosen zu lassen, wie es z.B. in den ehem. Zechenrevieren von England oder Polen oder der Autostadt von Detroit (Michigan,USA) zu beobachten ist.
Was wir aber kritisieren, ist der großspurige Anspruch, die ehem. Betriebsflächen von FH „mit innerstädtischen Grünzügen zu verbind-en“ um damit eine klimatisch wichtige Funktion erfüllen zu wollen. Auch würde ein großes Potential durch die Ansiedlung der FH Waal sowie eines Logistikzentrums auf FH entstehen, das wie Motoren wirken würde. (Auszug aus dem Masterplan BW West, 5/2012).
Beides ist blanker Unsinn. Ähnlich ver-schwurbelt wurde auch schon in anderen Masterplänen zur Erschließung von Zechen-arealen getextet. Der Umbau der Zeche zu einem Naherholungspark hat auf das Klima überhaupt keinen Einfluss und kann getrost als PR-Gag bezeichnet werden.
Und die Ansiedlung eines Logistikzentrums ist genau so wenig imagefördernd, wie dies-es ebenso wenig nennenswerte neue Arbeits-plätze schaffen wird. (s.o.) Aber das dürfte die neuen Bewohner der geplanten „Loft-wohnungen“ in einzelnen Zechengebäuden herzlich wenig stören. Immerhin kann man sich vorstellen, zusätzliche Wohnbauflächen für Einzelpersonen (auch Studenten!) zu schaffen.
Quellenhinweise:
N.N.: Masterplan Bergwerk West, Stadt Kamp-Lintfort (Hrsg.), Mai 2012; Be-schluss des Rates der Stadt Kamp-Lintfort zur Nachnutzung des Bergwerksgeländes FH als Stadtquartier sowie Teilbereich LaGa vom 12.12.2018; RP-Online vom 24.01.2017 und 24.09.2018; Kamp-Lint-fort2020.de vom 19.03.2020; Blach, Bern-hard: Abschied vom Bergwerk West, in: Jahrbuch für Energiepoitik und Montan-kultur, Revierkohle (Hrsg.), Hamburg 2013, S. 36 ff; Hourticolon, Doreen: Unter-schutzstellung von Gebäuden auf dem Bergwerksgelände Friedrich-Heinrich, Drucksache Nr. 527, Anlage 1, Bau-ordnungsamt der Stadt Kamp-Lintfort (Hrsg.) vom 20.12.2012; *) vgl. Neue Presse vom 22.7.2012 und Wirtschaftswoche vom 04.02.2016 sowie RK-Redaktion vom 02.04. 2020
Fotonachweise:
oben links: Revierkohle: LaGa-Illustration: Revierkohle; darunter v.l.n.r.: Revierkohle, darunter: Ölbild mit Schaf: Revierkohle; links darunter (Bildgalerie): v.l.n.r.: RAG; Revierkohle; FH-Waal: RAG-Montan-Immo