Am 15.12.2016 berichteten wir über den letzten Durch schlag auf Prosper-Haniel im Baufeld Haniel. Drei Monate später erfolgte der letzte Durchschlag auf Ibbenbüren am 30.03.2017 im südöstlichen Mittelfeld in der Strecke 7a Osten, Flöz 78. Der Musikverein „Glückauf Anthrazit Ibbenbüren“ untermalte dieses historische Ereignis in 1560 Meter Teufe. Denn mit dem letzten Durchschlag zweier Grubenbauverbind-ungen endet das Kapitel Vorleistung auch auf dem Bergwerk Ibbenbüren. Und damit wurde gleichzeitig auch der Auslauf eingeleitet. Die letzte Kohle wird auf Ibbenbüren gem. politischer Vorgabe am 31.12.2018 gefördert. Dann ist nicht nur auf Ibbenbüren und auf Prosper-Haniel „Schicht am Schacht“, sondern der ge-samte deutsche Steinkohlenbergbau wird dann Ge-schichte sein.
In Anwesenheit von Bürgermeister Dr. Schrameyer, Werksleiter Dr. Heinz-Werner Voß, BR-Vorsitzenden Uwe Wobben, Jürgen Kunz als Leiter der Produktion, weiteren RAG-Führungskräften sowie Vertretern von Thyssen-Schachtbau beging die Mannschaft diesen denkwürdigen Tag mit Stolz, Trauer und Wehmut zu-gleich. Die offizielle RAG-Hymne lautet zwar auch im Auslauf stets und ständig, das die Mannschaft „hoch-motiviert“ die letzten Aufgaben bewältigt, aber wenn man die Kumpels nach der Schicht persönlich fragt, wie es ihnen geht, dann sieht das Stimmungsbild schon gleich viel nüchterner aus. Da ist von Depress-ion die Rede, weil einige gar nicht aufhören möchten und sich noch viel zu jung für den Vorruhestand fühl-en. Dann gibt es Kumpels, die schon heute die zu-künftig fehlende Kameradschaft vermissen und daher keineswegs „hochmotiviert“ ihre letzten Schichten ver-fahren. Dann gibt es etliche Bergleute, die in Anbe-tracht der politisch verordneten Zwangsschließung wegen angeblich zu hoher Kosten und wegen des angeblichen Klimawandels, der durch die Verbrenn-ung fossiler Energieträger, namentlich die Kohle, an-geblich immer dramatischere Züge annimmt, eine Mischung aus Wut und Resignation in sich tragen. Und dann gibt es da noch die Bergleute, die sich die Frage stellen, was von dem, was sie über Jahrzehnte ge-letstet haben, übrig bleiben wird.
Das alles steht eigentlich im krassen Gegensatz zu den Aussagen der Führungsmannschaft und den offiziell-en Sonntagsreden und beschreibt die „innere Realität der Kumpels“ als ehrlichere Aussagen. Und so war dieser letzte Durchschlag auf Ibbenbüren in 1540 Meter Teufe ein ergreifender und geschichtshistorisch betrachtet bedeutender Augenblick. Die Bürgermeist-erin der Gemeinde Mettingen, Christina Rählmann, war gerührt und traurig zugleich, „weil man ein solch-es Ereignis in einigen Jahren nur noch auf Bildern zeig-en könne.“ Auch Bürgermeister Dr. Schrameyer von der Stadt Ibbenbüren war von der Anfahrt und dem Durchschlag beeindruckt.oben: Werksleiter Dr. Heinz-Werner Voß
rechts: die letzte Grubenanschlußbahn des Berg-werks Anthrazit Ibbenbüren. Hier mit Fahrtrichtung zum unmittelbar neben der Schachtanlage liegenden Steinkohlekraftwerk Ibbenbüren.
unten: RWE-Steinkohlenkraftwerk Ibbenbüren. Es wurde ab Juli 1981 errichtet und hatte ursprünglich eine Leistung von 808 Megawatt, seit der Revision 2009 von 848 Megawatt. Das Kraftwerk mit seinem 275 Meter hohen Kamin ging am 19. Juni 1985 in Betrieb und ist ein Grund- und Mittellastkraftwerk.
Versorgt wird das Kraftwerk hauptsächlich mit Anthrazitkohle aus der benachbarten Zeche Ibben-büren im Tecklenburger Land. Diese Kohle ist sehr hart und macht eine Schmelzkammerfeuerung not-wendig. Der Kessel des Kraftwerks in Ibbenbüren ist der größte Schmelzkammerkessel der Welt (Stand 2005). Jährlich werden circa 1,4 Mio. Tonnen Anthra-zitkohle im Kraftwerk verstromt.
Ende der 1980er Jahre wurde das Kraftwerk mit der zu diesem Zeitpunkt modernsten Filtertechnik und An-lagen zur Rauchgasentschwefelung ausgerüstet. Das Kraftwerk beschäftigt derzeit 140 Menschen. Der Be-treiber des Kraftwerks ist die RWE Generation SE. Die Kohle kommt nach Schließung des Bergwerks Ibben-büren komplett aus dem Ausland.
Quellenhinweise:
vgl.hz. Welt24.de vom 30.12.2007; Osnabrücker Zeitung vom 18.12.2015, Steinkohle-Werkszeitschrift vom Mai 2017, S. 7 und 32, Westfälische Nachrichten vom 24.05.2017, Wir in Detten GmbH, Wochenzeitung in Steinfurt vom 15.02.2017 , Wikimedia, sowie RK-Redaktion vom 15.06.2017
Fotos: oben links: RAG-BW Ibbenbüren; Mitte, Gleisanlage und RWE-Kraftwerk Ibbenbüren: H.-J. Janßen, wikimedia-commons;
unten: RWE-Steinkohlenkrtaftwerk Ibbenbüren
Ironie der Geschichte: ein Jahr vor der endgültigen Stilllegung des Bergwerks zeigen sich die Absatz-zahlen von der schönsten Seite. Bereits im ersten Quartal 2017 lag die verwertbare Förderung über Plan. Die Kohlequalität verspricht nach Ansicht von Werksleiter Dr. Voß einen sicheren Jahresabsatz. Bis Ende 2018 stehen noch rd. eine Million Tonnen bester Anthrazitkohle in zwei Abbaubetrieben zur Herein-holung an. In 2016 waren es noch rd. 3,8 Mio. T SKE. Das Grubengebäude wurde auf 58 Streckenkilometer verkleinert. Das Bergwerk beschäftigt derzeit noch 1.250 Mitarbeiter. In 2007 waren es noch rd. 2.500 Mitarbeiter. Nicht erst seit Bekanntgabe der Beendi-gung des Deutschen Steinkohlenbergbaus ohne Not im Jahre 1997 durch das Steinkohlenfinanzierungs-gesetz, sondern mindestens seit rd. 40 Jahren ist bei jeder Zechenschließung immer wieder von „Sruktur-wandel“, von „Glückauf-Zukunft, „neuen Chancen“ „Förderturm der Ideen „etc. die Rede. Die Politik lobt die Bergleute seitdem immer wieder in den höchsten Tönen und erklärt, das Niemand ins „Bergfreie“ fallen würde. Letzteres wurde von der Politik tatsächlich mit Druck der IGBCE auch eingehalten. Aber von einem echten Strukurwandel hin zu Tausenden von neuen adäquaten und genau so gut bezahlten Arbeitsplätz-en, die auf die Schließungen hätten folgen sollen, ist weit und breit auf den ehem. Schachtanlagen nichts zu sehen. Und die Firmen, die sich neu angesiedelt haben, bestanden schon vor der Schließung der Zeche und ergatterten auf diese Weise einen kostengünstig-en neuen Standort, beschäftigen in der Regel nicht mehr als 100 Mitarbeiter wo einst i.d.R. mehr als 3000 Kumpels pro Standort beschäftigt waren. Und die Be-zahlung ist ebenfalls deutlich niedriger als der Tarif der Bergleute es war. Außerdem sind auch nicht üb-erall neue Vollzeitarbeitsplätze, sondern viele Leih-und Teizeitarbeitsplätze entstanden. Und auf einigen aufgelassenen Bergbaustandorten sind seit der Schließung überhaupt keine neuen Arbeitsplätze entstanden. ( Hugo 2/5/8; Hugo Ost; Zeche Wester-holt, Haus Aden, Schlegel & Eisen, Robert Müser etc.) Dementsprechend fehlt überall das Steueraufkomm-en für die Sanierung und die Modernisierung der In-frastruktur. Es mangelt nicht nur an monitärer Nach-frage, an Bildungsinvestitionen und an Kitaplätzen, nein, es fehlt praktisch an allem im Revier. Die maro-den Schulen und Strassen sprechen davon ein beredt-es Zeugnis. Die Arbeitslosigkeit in Duisburg liegt z.B. bei satten 14 %, dicht gefolgt von Gelsenkirchen mit 12,9 % und Bottrop mit 10,3 %. Sogenannte Leucht-turmprojeke oder das neue RAG-Förderprogramm „Glückauf Aufbruch 2018“ gaukeln eine Zukunft vor, die verschleiert, das der Strukturbruch schon längst eingetreten ist und auch in den nächsten Jahrzehnten nicht rückgängig gemacht werden kann. Da sollten sich die Verantwortlichen nichts vormachen. Die Folg-en sind klar: Wohnungsleerstand, hohe Arbeitslosig-keit, viele Ausländer und Migranten ohne Perspekti-ve, Überalterung und Grüngürtel, wohin das Auge blickt. Aber nicht der Bergbau hinterlässt „verbrannte Erde“, sondern die Schuld trägt ausschließlich die Politik. Und die Verantwortlichen können sich auch nicht herausreden, denn wir hatten Sie bereits schon vor Jahrzehnten immer wieder auf den drohenden Strukturbruch hingewiesen. Ohne Erfolg. Jetzt ist er da.
Das Revier wird zum Museum mit reichlich Straß-enbegleitgrün und viel Musik.
Ein Trost bleibt: die Bergleute bringen Ihr Werk mit Anstand zu Ende und die Stadt Ibbenbüren sucht etliche Fachkräfte. Und die Grubenwasserhaltung mit den Abteilungungen Bergsenkungsschäden und Pold-erbau sowie die bergmännischen Knappenvereine bleiben ebenfalls erhalten. Und es bleibt uns hoffent-lich der von-Oeynhausen-Schacht sowie der Nord-schacht als Denkmal erhalten. Das ist besser als nichts. Zukunft buchstabiert man aber anders.