Lindy Hop der 20er Jahre im Ruhrrevier
Swing-Tanzpaar vor dem Malakowturm der 1929 stillgelegten Zeche Carl in Essen
Tanzvergnügen in der ehem. Kaue der Zeche Carl
Reste des Doppelflammrohrkessels zur Dampferzeug-ung
der ehem. Steiger und begeisterter Swing-Musiker Bernd Schmidt aus Bergkamen
Verwaltungs-und Kauengebäude der Zeche Carl
Quellenhinweise:
vgl.hz.a. Bahnsen, Uwe: Swing-Jugend – Sie wollten doch nur tanzen, in: Welt vom 17.6.2012; Wikipedia.de Lindypott.de; Podbielski, Dirk: Lindy Hop- Damals und Heute, Hand-out, Hamburg 2014, Stölzle, Alexandra, Trost, Gabriele: Die Swing-Jugend, Planet-Wissen.de, ARD, Benz, Wolfgang: Jugend-und Studenten-opposition, in: Bundeszentrale für politische Bildung vom 9.4.2005 sowie Revierkohle-Redaktion vom 01.05.2017
Fotos: oben: Lainspiratriz, fotolia-Kauf; links darunter: Zeche Carl, LindyPott.de; darunter:Tanz in der Kaue, auf Carl gGmbH,; Doppelflammrohrkessel; pillboxs; Bergmann Schmidt; Jürgen Klammer, inpixio, Verwaltungs-und Kauengebäude Zeche Carl; Walter Buschmann
Filmtipp: Ladunen, Monica, Beyer, Wolfgang (Regie) : Schlurf – Im Swing gegen den Gleichschritt, Österreich 2007
Was haben die Zeche Carl in Essen und der Swing-Tanz gemeinsam ? Antwort: beide hatten ihre Blüte- zeit in den 20er Jahren. Und beide haben bis heute überlebt. Zwar wurde die Zeche Carl bereits 1929 stillgelegt, aber als Denkmal und Kulturzentrum lebt sie heute in der Erinnerung fort. Und wo früher hart malocht wurde, wird heute gefeiert und getanzt. So z.B. am 13. Mai in der ehem. Kaue an der Wilhem-Nieswandt Allee. Und zwar nicht irgendwas, sondern getanzt wird im Stile der 20er Jahre. Die Rede ist von Swing. Genauer gesagt: von Lindy Hop, dem originär-en Jazz-Paartanz, der im Savoy-Ballroom in Harlem, New York, entstand. Der erste Ballroom ohne Rass-entrennung, wie sie in den USA üblich war. Lindy Hop ist wie gute Musik, die man sehen kann: rythmisch, dynamisch, improvisierend und natürlich nimmt sie emotional mit, denn sie erzeugt in kürzester Zeit gute Laune. Und das ganze wird von „Lindypott“, einer Dortmunder Swing-Tanzschule zelebriert.
Aber Lindy Hop ist noch viel mehr als nur ein Tanz.
Lindy Hop ist expressiv und im Verhältnis zum Stand-ard-Lateintanz unangepasst. Genau wie die Swing-Jugend im Dritten Reich. Ihr Wunsch nach Freiheit und ihre Abneigung gegen den Marschschritt und die Hitler-Jugend veranlasste sie zum zivilen Ungehorsam. Dieser kam zunächst nonverbal dadurch zum Aus- druck, das man den amerikanischen Kleidungsstil so-wie Swing und Jazz bevorzugte anstatt Marschmusik. Die Männer trugen längere Haare und als Erkenn- ungszeichen einen Regenschirm. Frauen schminkten sich, trugen kürzere Röcke oder Hosen, lackierten sich die Finger und grüßten sich mit „Swing Heil“ anstatt mit „Sieg Heil“. Für die Nazis galt die Musik als „ent- artet“ und die „Swing-Heinis“ als oppositionelle Jugendkultur, die dem „gesunden Volkskörper“ Schad-en zufügten. Daher ging der SS-Führer und Polizeichef Heinrich Himmler mit aller Härte gegen die Swing-Jugend vor, obwohl die 14-25 jährige Swing-Jugend doch nur tanzen wollte. Viele sog. Rädelsführer der Swing-Jugend wurden verhaftet und kamen ins KZ. Swing-Tanz war zwar offiziell verboten, aber dieses Verbot wurde an vielen Orten in Deutschland nicht beachtet. Sogar die Wehrmachtsführung duldete im berühmten Berliner „Haus Vaterland“ den Swingtanz, um die Soldaten bei Laune zu halten.
Der Swing-Tanz ist zunächst ein im Hamburger Bild- ungs-und Großbürgertum auftretendes Phänomen, welches sich ab 1939 in ganz Deutschland rasch ver-breitete. In Leipzig und Erfurt wurde die Swing-Jugend als Meute und in Halle als Proletengefolgschaft be-zeichnet, die ihren Ursprung im Arbeitermilieu hatte. In Österreich formierte sich nach dem Anschluss an das Deutsche Reich die sog. Schlurf-Jugend. In Ham-burg traf sich die Swing-Jugend bis 1942 vor allem im Alsterpavillon an der Binnenalster, welcher heute noch existiert. Zu ihr gehörte übrigens auch der ehem. Bild-Chef, Axel Springer. Aber auch im gewerk- schaftlichen Bergarbeiter-Milieu des Ruhrgebiets, mit Schwerpunkt in Dortmund, wo sich viele Zechen sein-erzeit befanden, findet der Swing-Tanz begeisterte An-hänger, was nicht ganz ungefährlich war. Durch die zahlreichen Verhaftungen, insbesondere ausgelöst durch die am 18.8.1941 in Kraft gesetzte „Sofort-Aktion gegen die Swing-Jugend“ formierte sich von der anfänglich unpolitischen Swing-Jugend eine politische Gegenkultur und stellenweise auch Opposition gegen das Nazi-Regime. So wurden z.B. zusammen mit der Weißen Rose in Hamburg oder zusammen mit den sog. Edelweißpiraten in Dortmund regimekritische Flugblätter verteilt und Plakate aufgehängt. Der als Rädelsführer der Swing-Jugend eingestufte Ham-burger Günter Discher wurde 1943 in das Jugend-KZ Moringen eingewiesen. SS-Obergruppenführer Rein-hard Heydrich, dem gefürchteten Chef des Reichs-sicherheitshauptamtes, plädierte in einem Brief an Himmler, das man die Swing-Jugend als feindlich und asozial eingestellt einzustufen habe. Daher sollten sie für 2 bis 3 Jahre in ein Jugend-KZ eingewiesen werden, wo sie zunächst einmal Prügel erhalten und sodann zu scharfer Arbeit angehalten werden sollten. Es muß auch klar sein, so Heydrich, das die Swing-Jugend nie wieder studieren dürfe. Bei den Eltern ist nach-zuforschen, inwieweit sie diese anglophylen Tendenz-en unterstützt haben. Falls das der Fall sein sollte, müßten diese ebenfalls in ein KZ eingewiesen werden.
Der Swing bildete von Anfang an eine Gegenkultur gegen Unterdrückung, Rassismus und Gleichschritt und wird daher auch als socialer Tanz bezeichnet. Der betont lässige und dennoch gekonnte Tanzstil mit etlichen Abwandlungen läßt viel Raum für Individuali- tät und Improvisation. Durch den ständigen Wechsel der Tanzpartner betont er das Gemeinsame. Man achtet aufeinander. Hier liegt auch die Gemeinsamkeit mit den Bergarbeitern. Auch sie verbindet bis heute eine innere Solidarität, die weit über den Zechenalltag hinaus reichte und reicht. Auch der Swing-Tanz ist so gesehen viel mehr als nur ein Tanz. Er ist Ausdruck von Unangepasstheit, Freiheit und Lebensfreude.